Nov. 2008:
Sie sind wohl immer zusammen gewesen;
streunend und Futter suchend auf Sofias
Straßen; eingepfercht im Wagen
der Tierfänger und dann in der
Todeszelle der Tötungsstation
Losenetz, aus der sie im April 2006
befreit wurden: Sila, die Schöne,
mit den riesigen Ohren und den faszinierenden
Augen; und Fido, der Sanfte, Liebevolle,
der nicht von ihrer Seite wich - und
möglicherweise genau aus diesem
Grund eingefangen worden war, denn
Sila, mit ihrer verkrüppelten
Hinterhand, die ihr aufrechtes Gehen
unmöglich macht, konnte nicht
fliehen - und er hat sie nicht verlassen.
Vielleicht sind sie Mutter und Sohn,
vielleicht auch einfach nur Gefährten
im Leid; wir wissen es nicht. Wir
wissen auch nicht, wie Sila mit ihrer
Behinderung auf der Straße überleben
und etwa 2- 3 Jahre alt werden konnte,
ebenso wenig wie wir wissen ob diese
Behinderung angeboren ist oder ob
man sie zum Krüppel geprügelt
hat; beides ist möglich.
Aber wir wissen um ihr Wesen, ihren
Charakter, der ihnen ihre Namen gab:
Sila, die Starke, deren Name "Kraft"
bedeutet, und Fido, der "Treue",
der aus seiner Vermittlung in Sofia
davonlief und den Weg durch den Straßendschungel
der Millionenstadt zurück nach
Losenetz fand, das nun "Nadeshda"-
"Hoffnung" hieß -
um bei denen zu sein, die er liebte
oder weil dort auch seine Hoffnung
war.
Als im Frühsommer 08 ein Angebot
für Fido von der Dobermann Nothilfe
kam, die bereit war, den nun etwa
dreijährigen mutmaßlichen
Harriermix (
vgl.
wikipedia) mit der eigenwilligen
Färbung, nach Deutschland zu
holen und hier gut zu vermitteln,
wurde dies abgelehnt; man war der
Meinung Fido gehöre nach Nadeshda-Losenetz
und sei dort glücklich. Einige
Mitglieder intervenierten daraufhin;
kein Hund sei auf die Dauer im Tierheim
glücklich, schon gar nicht in
einem Tierheim, das nicht mehr 60
Hunde, wie am Anfang, sondern 180
Vierbeiner beherbergte. Fido sei ein
junger, intelligenter Hund, der mehr
verdient habe, als sich den Rest seines
Lebens in einem eng umgrenzten Umfeld
zu langweilen. Es gab Hartnäckigkeit
auf beiden Seiten, die schließlich
in der Option mündete, dass dann
auch Sila übernommen werden und
ausreisen müsse. Einen jungen,
hübschen und intelligenten Hund
gut zu vermitteln ist eine Sache;
für eine schwer behinderte Hündin
ein gutes Zuhause zu finden eine ganze
andere, wenn auch nicht unmöglich,
wie der Fall
Lia
beweist. Tatsächlich fand sich
aufregend schnell ein Interessent,
der sich in Silas Augen verliebt hatte
und Erfahrung mit Behinderungen aufweisen
konnte - aber er wollte nur sie, nicht
aber Fido.
Also ging die Suche weiter.
Rabea Pinnau fand sie schließlich,
die Frau, die auf Anhieb sagte: "Die
nehm ich sofort!"
Die Tierschützerin Rita Lünsmann
vom Verein Tierhilfe direkt (
www.tierhilfe-direkt.de)
aus Bremervörde unterstützt
etliche Projekte in Serbien und hat
schon viele verzweifelte Hundeseelen
dort herausgeholt, bei sich aufgenommen
und in ein warmes Zuhause vermittelt
- aber einige dieser Nothunde sind
für immer bei ihr geblieben.
Sila sollte kommen und bleiben; Fido
konnte kommen und vorerst bleiben.
Es wurde von der Überlegung ausgegangen,
dass Fido letztlich mehr wollte und
brauchte, als ein geruhsames Dasein
auf einem Gnadenhof, aber man wollte
sehen, wie sich alles entwickeln würde.
Am 16.11.08 flog db-Vereinsmitglied
Barbara Ostmann nach Sofia, um die
beiden Hunde abzuholen. Die Kosten
für den Flug und den Transport
waren in einer beispiellosen "Zusammenlegaktion"
von Mitgliedern der db-tierhilfe,
deren Bekannten und Freunden und der
Dobermannnothilfe, ebenso "gestemmt"
worden wie die anschließende
Fahrkette von Frankfurt nach Bremervörde
- wofür an dieser Stelle noch
einmal herzlich "Danke"
gesagt werden soll!
Frau Ostmann landete um 13.30 in Sofia,
und hatte gerade genug Zeit die mitgebrachten
Transportboxen auszuladen und zusammen
zu bauen, da traf auch schon der grüne
Transporter des Tierheimes ein. Frau
Wassilewa, die Leiterin, und eine
junge Mitarbeiterin hatten Sila und
Fido auf ihrer letzten Fahrt durch
ihre Heimatstadt begleitet und vergossen
bittere Tränen des Abschieds
-hatten die beiden doch von Beginn
an - seit Losenetz aufgehört
hatte zu existieren und Nadeshda geboren
wurde - in der Station gelebt; darüber
hinaus gehören sie eindeutig
zur Gattung der Seelenfänger
und wären vermutlich auch in
der Lage Hundegegner für sich
einzunehmen. Es ist unmöglich
sie nicht zu lieben.
Um 19.25 Uhr landeten sie in Frankfurt
-aufgeregt erwartet von einer regelrechten
Tierfreunde- Delegation. Fido seinerseits
begrüßte alle Anwesenden
mit Küsschen - woraufhin er bereits
am Flughafen eine Schar gebrochener
Herzen hinter sich her schleifte,
allen voran seine Flugpatin, die ihn
in Tränen aufgelöst weiterziehen
ließ - der neuen Heimat entgegen.
Sila war etwas erschöpft und
ließ sich zum Auto tragen, vor
allem deshalb, weil sie auf dem glatten
Boden kaum laufen konnte.
Zur ersten Station nach Münster
wurden sie von Tierfreunden der Initiative
Windhundhilfe gefahren, die wie selbstverständlich
ihre Hilfe angeboten hatten. Dort
übernahm Mirko, Rabeas Mann,
die letzte Strecke nach Bremervörde,
wo sie nachts um 1.00 Uhr eintrafen
- allesamt müde und erschöpft,
aber wohlbehalten und guter Dinge.
Inzwischen sind sie seit zwei Wochen
hier. Frau Lünsmann bezeichnet
sie als überaus angenehme Hausgenossen;
Sila, die sofort die größte
Zuneigung zu ihr gefasst hatte und
die sich immer schon - Behinderung
hin oder her - Respekt verschaffen
konnte (
db-tierhilfe.de/tierbuch-diesseits-der-hoffnung.php,
S.84), macht Anstalten die allgemeine
Rudelführung im Haus zu übernehmen
und ihr neues Frauchen als alleinigen
Besitz zu betrachten - aber sie hatte
ja auch noch nie eines. Fido hat mit
größtem Elan jeden Zentimeter
seines neuen Areals abgeschnuppert
und war anfangs kaum zu bewegen, ins
Haus zu kommen, so interessant und
aufregend war diese unbekannte Welt
für ihn. Inzwischen weiß
er ein gemütliches Körbchen
- oder noch besser - ein weiches Sofa
durchaus zu schätzen, sofern
Sila ihn hinauf, bzw. hineinlässt.
Mittlerweile geht er auch schon seine
eigenen Wege, spielt mit den anderen
Hunden und kommt nur gelegentlich
zu seiner langjährigen Gefährtin,
um sie - wie er das stets getan hat
- liebevoll abzuschlecken.
Die Welt hat noch so viel mehr für
ihn zu bieten; er steht nun am Anfang
eines neuen Weges, der ihn von den
Straßen Sofias, in denen er
zur Welt kam, über die Tötungsstation
und dann in die Sicherheit des Tierheims
Nadeshda, die ihm sein Leben neu schenkte,
in eine Zukunft führte, die vor
allem eines sein soll: eine glückliche!
Silas körperlicher Zustand wird
untersucht, um festzustellen, inwieweit
ihre Lebensqualität verbessert
werden kann. Hierüber werden
wir berichten.
Sie sind beide außergewöhnliche
Hundeseelen, mit außergewöhnlichem
Schicksal, von großer innerer
Kraft und Würde, die ihnen nichts
und niemand hat nehmen können
- nicht die körperliche Versehrtheit,
nicht das Elend des Straßendaseins
und auch nicht das Grauen der Tötungsanstalt.

Ihre
Herzen und Seelen sind intakt geblieben,
wie jeder der sie kennen lernt sofort
bemerkt - denn (wie schon gesagt):
es ist unmöglich sie nicht zu
lieben - weil auch sie uns lieben,
mit der bedingungslosen Kraft und
Treue ihrer aufrichtigen Herzen.
In diesem Sinne - und in diesem Wissen
- wünschen wir Ihnen eine gesegnete
Adventszeit.